Die Doppelröhre liegt am Grunde der Ostsee, 1.234 Kilometer aneinander geschweißtes Stahlrohr, 1,22 Meter dick, ummantelt mit einem Kunststoffpanzer. In der 12-Meilen-Zone, dem Küstenmeer, ist die Pipeline eingeschottert, weiter draußen liegt sie frei im Wasser. 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollten durch Nord Stream 2 jährlich aus Westrussland nach Mecklenburg-Vorpommern strömen, Wohnräume heizen und Industrieanlagen versorgen.
Das war der Plan – bis Russland die Ukraine überfiel.
Heute ist die Leitung zwar gefüllt, Arbeiter des russischen Energiekonzerns Gazprom haben 360 Millionen Kubikmeter Methan hineingepresst. Es hat theoretisch einen Wert von rund 400 Millionen Euro am Spotmarkt und würde ausreichen, um 225.000 Einfamilienhäuser ein Jahr lang zu heizen. Technisch gesehen hätte die zuständige deutsche Betreiberfirma Gas4Europe in Lubmin jederzeit den Hahn aufdrehen können. Doch das erst kürzlich gegründete Schweriner Unternehmen arbeitet nicht mehr, der Krieg hat es überflüssig gemacht, denn die Aussicht auf seine notwendige Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur ist gegen null gesunken. Weder die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern noch die Bundesregierung wollen mit der Pipeline noch etwas zu tun haben, einem der umstrittensten Infrastrukturprojekte der vergangenen Jahrzehnte.
Wie es aussieht, sind die Baukosten von elf Milliarden Euro nutzlos auf dem Grund der Ostsee versenkt. Völlig offen ist, ob die Röhren dortbleiben können, wenn sie nie in Betrieb gehen sollten. Umweltschützer warnen vor drohenden, drastischen Schäden.
Redakteur im Ressort Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, ZEIT ONLINE
Fast alle fünf Finanzinvestoren haben ihr Investment mittlerweile abgeschrieben, darunter Wintershall Dea aus Celle oder die Düsseldorfer Uniper. Die Pipeline-Bauherrin, die zum russischen Gazprom-Staatskonzern gehörende Schweizer Nord Stream 2 AG, ist zahlungsunfähig. Sie hat am Firmensitz in Zug 106 Beschäftigte entlassen, die Website ist tot, ebenso die im Februar noch erreichbaren Telefonanschlüsse. Der Firmensprecher muss nun sein Privathandy nutzen und erläutert, dass wegen der Sanktionen sämtliche Telekommunikation und Konten gesperrt seien.
Ein Antrag auf Konkurs ging bisher nicht ein, bestätigt das zuständige Amt für Arbeit und Wirtschaft im schweizerischen Zug auf Nachfrage, das scheint aber nur eine Frage der Zeit. Denn die Nord Stream 2 AG hat ihre Unternehmensbilanz nach Auskunft des Sprechers bereits beim zuständigen Gericht in Zug eingereicht. Das Gericht entscheidet über eine Verfahrenseröffnung.
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Bleibt die Frage: Was macht man mit einer so neuen, betriebsbereiten Investitionsruine am Meeresgrund, wenn der Eigentümer handlungsunfähig ist? Wer sich in Ministerien, bei der Bundesnetzagentur , beim Erbauer, Betreiber oder Umweltschützern in Deutschland und am Schweizerischen Nord-Stream-Firmensitz Zug umhört, erkennt: Die Lage ist verfahren, unklar, ungeregelt. Einer wartet auf den anderen.
Noch wird das Firmenareal an der Anlandestation in Lubmin bewacht und betrieben, Fachleute der Nord Stream AG sind mittlerweile von dort abgezogen. "Wir können nichts bezahlen, keine Hotels, keine Reisekosten", sagt der Sprecher. "Für Gotteslohn fährt da ja keiner hin." Lediglich der deutsche Gastransportspezialist Gascade hat noch Personal zur Überwachung der Anlage vor Ort, wie das Landwirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern mitteilt.
Offen ist, ob man die Pipeline abbauen müsste, wenn sie nicht mehr gewartet wird. Und wer das macht und bezahlt. Für einen Rückbau der Leitung wäre die Nord Stream AG zuständig, erläutert die Ministeriumssprecherin. Umfassende umweltvölkerrechtliche Gespräche mit den Anliegerstaaten Polen und Russland müssten dem vorausgehen. Soweit die Theorie.
Denn dafür zahlen müsste letztlich Gazprom als Eigentümer und möglicher Rechtsnachfolger der Nord Stream 2 AG. Der russische Staatskonzern aber könnte sich sperren, weil ja Deutschland die Inbetriebnahme verweigert.
Der Münchner Wirtschaftsjurist und Energierechtsexperte Christian Held sieht die Lage so: "Wenn von der Leitung derzeit keine konkrete Gefahr ausgeht, dann sehe ich keinen Anspruch auf Beseitigung von wem auch immer", sagt er. Der Umweltverband Nabu entgegnet allerdings, sobald die vorgeschriebene Wartung und Kontrolle wegfalle, beginne der Verfall: An der Röhre siedelten sich zunächst Schalentiere an, Sedimente setzten sich ab, irgendwann zersetze sich der Kunststoffmantel und es fresse sich der Rost in den Stahl, sagt Nabu-Meeresexperte Kim Detloff. Insbesondere die Schadstoffe aus dem Kunststoff könnten dann das Ökosystem stören. "Wenn die Pipeline nicht mehr gebraucht würde und ihre Berechtigung verloren hat, dann muss sie wieder raus", sagt er. "Denn die Pipeline ist ein Fremdkörper mit potenziell schädlichen Emissionen."
Detloff fordert daher, den frei im Wasser liegenden Teil der Röhre zu entfernen. Nur der mit Schotter bedeckte Teil im Küstenmeer solle liegen bleiben – hier würde ein Abbau die Fauna und Flora ein weiteres Mal empfindlich stören. Auch der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, warnt davor, dass aus undichten Stellen ins Meer ausströmendes Methan großen Schaden in der Atmosphäre anrichten würde: Methan ist als Klimagas um ein Vielfaches schädlicher als CO₂.
Sollten die Röhren mangels professioneller Wartung undicht werden oder anderweitig Schaden anrichten, müsse der Staat den Eigentümer zunächst zur Reparatur auffordern, erläutert Wirtschaftsjurist Held. Wenn der nicht ansprechbar ist, könnte er selbst eine Reparaturfirma beauftragen. Kann er das Geld beim Eigentümer nicht eintreiben, bleibt er auf den Kosten sitzen. Hinterlegte finanzielle Sicherheiten für diesen Fall sehe das Energiewirtschaftsgesetz nicht vor, erläutert das Landeswirtschaftsministerium in Schwerin.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Redaktion/dg
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
"Die Gaspipeline Nord Stream 2 liegt prall gefüllt im Meer – doch wie es mit ihr weitergeht, ist völlig offen. "
Dort kann sie erst einmal ungenützt verbleiben. Bis ein menschlicheres Kreml an der Macht sitzt.
Um das nochmals zu verdeutlichen:
- 2008 , russischer Angriff gegen Georgien - 2014, russiche Annektion der Krim - 2014, russicher Schattenkrieg im Donbass
Und Deutschland fiel nichts Besseres ein, als im Folgejahr die Verträge für Nord Stream 2 zu unterschreiben. Was für eine Fehlentscheidung!
Auf des Ende des Krieges warten und nach einer Karenzzeit in Betrieb nehmen.
Nein. Falls es Ihnen entgangen ist, wir müssen klimabedingt weg von fossilen Energieträgern und damit auch dem Erdgas.
Mein Vorschlag: Rückbau. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat ja offenbar reichlich finanzielle Mittel und beste Kontakte nach Russland. Frau Schwesig oder Herr Gabriel, der Tausendsaasa in Sachen Geschäfte machen mit Autokraten, können da sicher vermitteln und Verantwortung übernehmen.
Putins Lebenszeit ist überschaubar. Danach werden die Karten neu gemischt.
ganz so einfach wird es auch nach der Eliminierung oder dem natürlichen Ableben des Putins nicht werden ..... selbst ein Alexej Nawalny wäre im deutschen Bewertungsmuster ein Ultranationalist .... und falsch verstandener "Patriotismus" kippt halt gerne mal ins Faschistische .....
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